Folgenden Leserbrief verfasste unsere Kreistagsabgeordnete Barbara Grassel zu einer FAZ-Reportage zu Ultranet vom 22.07.2022:
Zuschrift zu den FAZ-Artikeln: „Experiment über den Köpfen“ und „Klagewelle steht bevor“
Das Drama um die Hochspannungsleitung Ultranet ist weniger ein Beleg für das ineffiziente deutsche Planungs- und Genehmigungsrecht als dass es aufzeigt, wie Rendite-Interessen der großen Netzbetreiber und deren staatliche Begünstigung zu Fehlinvesitionen und Missachtung der von Großvorhaben betroffenen Menschen führen.
Die geplante Gleichstrom-Höchstspannungsleitung wird auf absehbare Zeit von niemandem gebraucht. Auch nicht, um später einmal Windstrom von der Küste nach Süddeutschland zu bringen. Denn die bereits vorhandene Leitungskapazität auf den Masten beseilt mit zwei 380kV-Stromkreisen wird nur zu einem Bruchteil genutzt. Gebaut bzw. auf zweimal 380 kV hochgerüstet wurde diese Wechselstromleitung, um den Strom vom Kernkrafwerk Mühlheim-Kärlich ins Rhein-Main-Gebiet zu bringen. Doch das AKW Mühlheim-Kärlich ging nie ans Netz. Die neu gebaute Leitung, im Bereich Hofheim sogar ein Schwarzbau, der nie ordentlich genehmigt wurde, war somit überflüssig. Deshalb wurde eine ältere, parallel verlaufende 240-kV-Leitung auch stillgelegt und abgebaut, und von den neu errichteten zwei 380-kV-Leitungen ist eine außer Betrieb und die andere nur zu ca. 15% ausgelastet. Schon als Wechselstromleitung ist das vorhandene Netz also völlig überdimensioniert. Ein Gleichstromnetz braucht in absehbarer Zukunft niemand: Zwar ist der Leitungsverlust bei Gleichstrom niedriger als bei Wechselstrom. Doch alle Generatoren, egal ob mit Kohle oder Wind angetrieben, erzeugen Wechselstrom, der in sogenannten Konvertern beim Einspeisen erst in Gleichstrom umgewandelt werden muss und am Ende der Transporttrasse wiederum in Wechselstrom, denn unsere Stromnetze basieren auf Wechselstrom. Und die notwendigen Konverter am Anfang und Ende einer Gleichstrom-Höchstspannungsleitung „fressen“ auch Energie, so dass der geringere Leitungsverlust einer Gleichstromleitung bei Transportwegen unter rd. 800 km durch diese Umwandlungsverluste überkompensiert wird. Die geplante Ultranet-Leitung ist aber nur 340 km lang. Auch gibt es noch keine Konverter. Ultranet mit Gleichstrom zu betreiben, ist also nicht nur unwirtschaftlich, sondern derzeit auch unmöglich. Deshalb wird die neue Leitung auch mit einer Umschaltfunktion geplant, um sie sowohl mit Gleich- als auch mit Wechselstrom betreiben zu können.
Die Gleichstrom-Option von Ultranet wird in absehbarer Zukunft ganz sicher nicht gebraucht. Eine Verlängerung der Gleichstromtrasse über den südlichen Endpunkt Philippsburg hinaus ist bilang nicht geplant. Und eine entsprechend leistungsfähige Wechselstrom-Beseilung liegt bereits auf, wird aber nicht genutzt.
Weshalb, fragt man sich zu Recht, will dann die Firma Amprion diese neue Höchstspannungs-Gleichstromleitung Ultranet mit Umschaltoption überhaupt bauen, wenn sie doch auf Jahrzehnte hinaus völlig überflüssig ist? Ganz einfach: Ihr Bau ist für den Netzbetreiber ein wahrer Goldesel. Der Netzbetreiber kann aufgrund der von der Bundes-Netz-Agentur bewilligten Garantie-Rendite Jahr für Jahr einen Betrag von 5,07% der Investitionskosten auf die Netzentgelte und damit letztlich auf die Stromkunden umlegen – bis 2016 waren es sogar 9,05 % (!).
Ganz egal, ob diese Leitung gebraucht wird oder nicht. Die Stromerzeuger geben die erhöhten Netzentgelte selbstverständlich an die Stromkunden weiter, die Strompreise steigen zusätzlich.
Sollte die Leitung zwischen Philippsburg und Osterath dennoch unwirtschaftlich mit Gleichstrom betrieben werden, würde dies wohl nur zu dem Zwecke eines Pilotversuches mit den Menschen, die unter und neben der Leitung wohnen, als Versuchskaninchen erfolgen, um die gesundheitlichen Auswirkungen zu testen. Dagegen wehren sich die Menschen zwischen Koblenz und Kelsterbach berechtigter Weise mit Untersützung der Kommunalpolitik.
Dr. Barbara Grassel, Sprecherin DIE LINKE. Main-Taunus im Kreistag