Am 11. Februar war Andreas Zumach – Journalist, Friedensaktivist und u.a. Träger des Göttinger Friedenspreises – auf Einladung der Linken Main-Taunus zu Gast im Bürgerzentrum Niederhöchstadt. Deutlich über 50 Teilnehmende folgten einem hoch informativen und faktenreichen Vortrag und beteiligten sich anschließend an einer angeregten Diskussion. Durch den Abend führte der Linke-Direktkandidat Thomas Völker, der eingangs erläuterte, dass es der Linken ein besonderes Anliegen sei, die Perspektive über das bisher vorrangig militärische Vorgehen hinaus auf Waffenstillstand und Friedensverhandlungen in der Ukraine zu lenken.
Zumach eröffnete seinen Vortrag mit einer Rückschau auf die vertanen Chancen der Vergangenheit. Er erinnerte daran, dass es genau 35 Jahre her sei, dass bei den Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung im Februar 1990 der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher zusammen mit dem US-amerikanischen Außenminister James Baker dem sowjetischen Staatschef Gorbatschow mündlich zugesagt hatten, dass es keine NATO-Osterweiterung geben würde. Diese Aussage wurde mehrfach öffentlich von James Baker mit dem bekannten Ausspruch „not one inch eastward“ (nicht einen Schritt nach Osten) untermauert. Diese Aussage war, so Zumach, auch wenn sie nie vertraglich fixiert wurde, ein entscheidender Türöffner für die Zustimmung der sowjetischen Führung zur deutschen Wiedervereinigung, ebenso wie das Bekenntnis aller damals Beteiligten zur Idee eines gemeinsamen Hauses Europa und zu einem kollektiven Sicherheitssystem, welches laut Kohl Herzstück einer neuen europäischen Friedensordnung werden sollte. Dieses Versprechen sei nach dem Zerfall der Sowjetunion sehr schnell in Vergessenheit geraten und die darin liegende Chance damit verloren gegangen.
Zumach betonte, dass dies in keiner Weise den völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine rechtfertige, aber es müsse beachtet werden, dass ein Fenster für Verständigung und Frieden in Europa mit einer Zurückdrängung der OSZE und eine Stärkung der NATO zugeschlagen wurde. Denn in einer zunehmend konfrontativen Situation müssten im Sinne der Friedenssicherung legitime Sicherheitsinteressen aller Seiten beachtet werden, was am Ende versäumt wurde. Dabei ginge es nicht nur um die NATO-Osterweiterung an sich, sondern auch um die Aufkündigung wichtiger Abrüstungsverträge durch die USA oder die Stationierung von Raketensystemen in den osteuropäischen NATO-Staaten.
Der Überfall auf die Ukraine sei dann mit einer klaren (Selbst-)Überschätzung Russlands und einer Unterschätzung der ukrainischen Fähigkeiten einhergegangen. Die russische Armee war offensichtlich nicht annähernd in der Lage das eigentliche Kriegsziel, die Eroberung der Ukraine, zu erreichen und sei dies nach Zumachs Einschätzung bis heute nicht. Die Ukraine sei zugleich deutlich widerstandsfähiger gewesen, als dies auch viele westliche Beobachter erwartet hatten. Daraus wurde im Westen allerdings eine aus Sicht Zumachs verheerende Schlussfolgerung gezogen: die Möglichkeit eines militärischen Sieges über Russland durch die Ukraine, die sich nach nun mehr drei Jahren Krieg und knapp zwei Jahren weitgehend Stellungskrieg als ebenso offensichtlich falsch darstellt. Problematisch sei diese Einschätzung auch deshalb, weil die im März 2022 weit fortgeschrittenen Istanbuler Gespräche, mit einem fundierten ukrainischen Verhandlungsangebot auch durch westliche Waffenzusagen torpediert wurden und so eine frühe Konfliktbeilegung mit verhindert wurde.
Der damals von Selenskij vorgelegte Zehn-Punkte-Plan könne auch heute in vergleichbarer Form ein erster Vorstoß sein, so Zumach. Vorbereitend müssten erste vertrauensbildende Maßnahmen, auch in geheimen Gesprächen, erfolgen. Waffenruhe, Vereinbarungen zu einem Waffenstillstand, Gefangenenaustausch, Klärung weiterer humanitärer Fragen und der Rückzug von schweren Waffen entlang einer Demarkationslinie, die ggf. von UN-Blauhelmen gesichert würde, seien erste Schritte, die dann in Friedensverhandlungen münden könnten. Hier gelte es dann umfassende Pakete zu schnüren, die gesichtswahrend für beide Seiten sein müssten:
- Westliche und russische Sicherheitsgarantien für die Ukraine bei Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft;
- vollständige Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität in den Grenzen des Budapester Memorandums von 1994 bei gleichzeitiger Autonomie des Donbass und der Krim in sprachlichen, kulturellen und auch finanziellen Fragen;
- Abzug aller russischen Truppen bei Garantie des Schwarzmeerflottenstützpunktes in Sewastopol auf der Krim;
- internationale Begleitabkommen zu Rüstungskontrolle;
- Kostenbeteiligung Russlands am ukrainischen Wiederaufbau bei Wiedereingliederung Russlands in internationalen wirtschaftlichen, sportlichen und kulturellen Austausch wären einige mögliche Punkte, die Zumach beispielhaft anführte.
In der sich anschließenden Diskussion wurden besprochene Themen vertieft und neue Fragestellungen aufgeworfen. So erklärte Zumach, dass eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine nicht ausgeschlossen werden sollte, wenn die Ukraine die vielfältigen Beitrittskriterien erfüllt. Gefragt nach der Perspektive Trumps und des einflussreichen militärisch-industriellen Komplexes in den USA betonte Zumach, dass schon unter Obama, Trump I und Biden der Blick der USA sich deutlich auf China als Hauptgegner verschoben habe. Da China durch den Krieg in der Ukraine und in Folge der Sanktionspolitik von massiven und günstigen Öl- und Gaslieferungen aus Russland direkt profitiere, gäbe es gerade in den USA ein hohes Interesse den Ukrainekrieg zu befrieden, um sich wieder intensiver China widmen zu können. Deshalb sei es wichtig, dass die EU darauf achte, dass die Interessen der Ukraine gewahrt blieben und nicht Trump und Putin über die Köpfe der Ukraine hinweg eine Einigung erzielten und durchdrückten.
Abschließend wurde auch über die mögliche Stationierung von neuen Mittelstreckenraketen in Deutschland, konkret in Wiesbaden-Erbenheim diskutiert. Zumach warnte eindringlich davor, diesen Schritt zu gehen. Die „Gefahr eines Krieges aus Versehen“ sei angesichts des technischen Fortschritts seit den 1980ern heute größer als zu Zeiten des NATO-Doppel-Beschlusses und kein Argument der damaligen Friedensbewegung sei heute überholt. Er verwies zudem darauf, dass die geplante Stationierung real in keinem Zusammenhang zu Russland stehe. Trump habe in seiner ersten Amtszeit 2016 das Mittelstreckenabkommen mit Russland gekündigt, um die USA gegen China zu positionieren, auch der Beschluss für die Einrichtung von fünf Multi-Domain Task Forces, die die globale Stationierung begleiten sollen, sei 2021 und damit vor der Eskalation in der Ukraine gefallen. Es sei an der Friedensbewegung in der Gesellschaft aufzuklären und wieder stärker und aktiver zu werden, um internationale Abrüstung und der Stärkung von Friedenspositionen wieder mehr Geltung zu verschaffen.