Parlamentsmehrheit wird nicht gegen Bürgermeister Vogt klagen
Grüne, SPD, BfH und Linke weisen Vorwürfe des Bürgermeisters zurück und sind von der Rechtsmäßigkeit ihrer Beschlüsse überzeugt
Es ist schon ein außergewöhnliches Hin und Her zwischen Bürgermeister Christian Vogt (CDU) und der Stadtverordnetenversammlung in Hofheim wegen der Streuobstwiesen mit einer Fläche von rund 11 Hektar auf der Vorderheide, die einer Bebauung mit Einfamilienhäusern weichen sollen – oder auch eben nicht.
„Wir haben alle parlamentarischen Möglichkeiten ausgeschöpft, werden aber keinen Rechtsstreit gegen Bürgermeister Vogt führen.“, so der Fraktionsvorsitzende der Hofheimer Grünen, Daniel Philipp.
Bei einem Rechtsstreit zwischen den Gremien der Stadt werden die Hofheimerinnen und Hofheimer die Leidtragenden sein, da die Kosten des Verfahrens durch die unterlegene Partei zu tragen sind, die in diesem Fall definitiv ein städtisches Gremium, also die Stadt Hofheim, sein wird.
„Das Anliegen der Mehrheit im Stadtparlament war es, den städtischen Haushalt nicht mit den Ausgaben für eine aussichtslose Nichtzulassungsbeschwerde zu belasten.“, so Alexander Tulatz, Fraktionsvorsitzender der SPD. „Darüber hinaus war es unser Ziel, schnelle Rechtssicherheit und Klarheit über die zukünftige Nutzung der Vorderheide II herzustellen.“
Diese Ziele sind aufgrund des Handelns des Bürgermeisters nicht mehr erreichbar. Aber warum kam es so weit? Diese Frage stellen sich nicht nur die Parlamentarier, sondern auch viele Hofheimerinnen und Hofheimer.
Bürgermeister Vogt hat von einem juristischen Instrument Gebrauch gemacht, das aufgrund seiner Schärfe eigentlich sehr zurückhaltend eingesetzt werden müsste. Er hat den Stadtverordneten vorgeworfen, rechtswidrig gehandelt zu haben und den Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung zunächst widersprochen und diese nach der Bestätigung durch die Stadtverordneten, beanstandet.
In seiner Begründung warf der Bürgermeister der Stadtverordnetenversammlung vor, sie habe seine im Rahmen des Widerspruchs vorgebrachten Informationen nicht ausreichend gewürdigt. Dieser Vorwurf ist nach der Auffassung der Parlamentsmehrheit haltlos, da die Stadtverordneten, das von Bürgermeister Vogt angeführte Dokument, nicht erhalten haben. In der Folge der Beanstandung des Bürgermeisters mussten die Stadtverordneten aktiv bei der Stadtverwaltung anfragen, um die schriftliche Begründung des Bürgermeisters zu erhalten. Auch die eingelegte Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wurde den Stadtverordneten nicht zugänglich gemacht. Deshalb werden die vier Fraktionen eine Anfrage einbringen, um die Argumente und die Kosten des Alleingangs öffentlich zu machen.
Die Folge von Vogts juristischem Winkelzug ist es, dass der Bürgermeister die Entscheidung des Stadtparlaments außer Kraft gesetzt hat. Er allein trägt damit die Verantwortung, dass die Nichtzulassungsbeschwerde, gegen den demokratischen Beschluss der Hofheimer Stadtverordneten, eingelegt und begründet wurde.
„Nachdem die Nichtzulassungsbeschwerde durch den Bürgermeister nun doch eingereicht wurde, wollen wir für die Hofheimerinnen und Hofheimer zumindest nicht noch weitere Kosten durch eine Klage verursachen.“, so der BfH-Fraktionsvorsitzende Wilhelm Schultze. „Wir vertrauen darauf, dass das Urteil des Verwaltungsgerichthofes Bestand haben wird und es keine Wohnbebauung in dem ökologisch hochwertigen Gebiet der Vorderheide entsteht.“, so Schultze weiter.
„Wir verurteilen das Vorgehen des Bürgermeisters, die Entscheidungskompetenz der Stadtverordnetenversammlung zu missachten und stattdessen den Magistrat entscheiden zu lassen, weil dort andere Mehrheitsverhältnisse herrschen, und weisen die Vorwürfe der Rechtswidrigkeit unserer Beschlüsse in aller Form zurück. Nicht der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung war rechtswidrig, sondern die Entscheidung des Magistrats über die Einlegung des Rechtsmittels.“, so Dr. Barbara Grassel, Fraktionsvorsitzende von Die Linke. „Bedauerlich ist, dass nicht nur das Minderheitsbündnis aus CDU, FDP und FWG, sondern auch der Stadtverordnetenvorsteher diese Kompetenzverletzung widerspruchslos hinnehmen.“
Der ganze Vorfall wird nun den städtischen Haushalt mit rund 50.000 EUR für Rechtsanwaltskosten sowie voraussichtliche Gerichtskosten belasten. Dieses Steuergeld, mit dem soziale Projekte oder Vereine hätten gefördert werden können oder mit dem man in den Klimaschutz hätte investieren können, ist nun unwiederbringlich verloren.
Daran würde auch eine Klage der Stadtverordnetenversammlung gegen den Bürgermeister nichts mehr ändern können. Aber die Fraktionen erinnern den Hofheimer Bürgermeister Vogt an die Worte seines Parteifreundes, Staatsminister Axel Wintermeyer, und appellieren daran, diese zukünftig wieder zu beherzigen: Demokratische Entscheidungen hat man zu akzeptieren!
Hintergrundinformationen und Historie:
Am 16. Dezember vergangenen Jahres titelte der Regionalteil einer Tageszeitung „Keine Villen auf der Vorderheide“. Doch der Hofheimer Bürgermeister Christian Vogt (CDU) möchte das Unvermeidliche auf Kosten der Hofheimerinnen und Hofheimer und gegen das klare Votum der Stadtverordnetenversammlung hinauszögern.
Das höchste hessische Verwaltungsgericht (VGH) hat nach einem jahrelangen Verfahren entschieden, dass der Bebauungsplan Vorderheide II rechtswidrig ist und dort nicht gebaut werden darf. Dies wurde mit dem Umwelt- und Artenschutz begründet, insbesondere da sich die Vorderheide in einem faktischen Vogelschutzgebiet befindet. Darüber hinaus ist die geplante Wohndichte zu gering, weshalb regelmäßig von einem Villenviertel gesprochen wird.
Der Verwaltungsgerichtshof stellte zudem fest, dass es keine Gründe für die Zulassung der Revision gäbe, weshalb das Urteil zunächst mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden muss. Um zu erreichen, dass der Bebauungsplan doch noch als rechtmäßig eingestuft wird, müsste zunächst die Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich sein und daraufhin auch die Revision.
Nichtzulassungsbeschwerden haben hohe Darlegungsanforderungen und im vergangenen Jahr hat der VGH keiner einzigen Nichtzulassungsbeschwerde abgeholfen, sodass in allen Fällen das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) damit befasst wurde.
Nichtsdestotrotz war der Magistrat der Auffassung, dass Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden sollte.
Dagegen wendete sich die Stadtverordnetenversammlung.
Die gewählten Mandatsträger beschlossen mehrheitlich, dass keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden sollte, um den städtischen Haushalt nicht mit Kosten für ein Rechtsmittel zu belasten, das kaum Aussicht auf Erfolg hat. Denn auch der Magistrat ist offensichtlich nicht davon überzeugt, dass die Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich sein wird, da maßgeblich mit Schadensersatz- und Haftungsansprüchen argumentiert wurde.
Die Anwälte der Stadt konnten das Bestehen und die Höhe dieser Ansprüche jedoch nicht näher erläutern, da man auch die Entwicklungsgesellschaft Hofheim (EGH) vertrete, die die Ansprüche gegen die Stadt geltend machen könnten. Deshalb war es der Stadtverordnetenversammlung nicht möglich, die vorgebrachte Bedrohung möglicher Schadenersatzforderungen zu spezifizieren und die Zustimmung zu einer Nichtzulassungsbeschwerde darauf zu stützen.
Umso fragwürdiger erscheint deshalb der Vorwurf des Bürgermeisters, die Stadtverordnetenversammlung habe rechtswidrig gehandelt, da sie gegen das Sparsamkeits- und Risikominimierungsverbot verstoßen hätte, indem sie das Risiko der möglichen Haftungsansprüche nicht angemessen berücksichtigt hätte.
Wie soll ein Risiko bewertet werden, wenn die gewählten Parlamentarier die wesentlichen Informationen nicht oder nur nach und nach erhalten? Mittlerweile wird im Übrigen auch von Seiten des Bürgermeisters nicht mehr von Schadensersatzansprüchen gesprochen, sondern es wird auf vermeintliche vertragliche Pflichten verwiesen.
Zusätzlich ist der Bürgermeister der Auffassung, dass die Stadtverordnetenversammlung nicht zuständig sei. Dieser Meinung tritt die Mehrheitsopposition entgegen, da die Stadtverordnetenversammlung gem. § 51 Nr. 18 HGO für die Entscheidung über die Führung eines Rechtsstreits von größerer Bedeutung, soweit es sich nicht um Geschäfte der laufenden Verwaltung handelt, zuständig ist.
Bürgermeister Vogt bezweifelt in der Begründung seiner Beanstandung das Vorliegen der größeren Bedeutung des Rechtsstreits, während er im gleichen Dokument die Notwendigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde mit der Erheblichkeit der Sache begründet.
Ist die Rechtsfrage also so wichtig, dass durch Steuergelder in Höhe von ca. 50.000 EUR eine aussichtslose Nichtzulassungsbeschwerde finanziert werden soll, aber nicht wichtig genug, um das demokratisch legitimierte Stadtparlament einzubinden?
Zudem stellt Vogt in seiner Begründung richtigerweise fest, dass sich § 51 Nr. 18 HGO nicht auf die eigentliche Prozessführung, sondern auf die Frage, ob ein Rechtsstreit geführt oder ein Rechtsmittel eingelegt werden soll, bezieht.
Die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung ist der Auffassung, dass keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden sollte, während der Magistrat der gegenteiligen Auffassung ist. Dementsprechend geht es unzweifelhaft nicht um die Prozessführung, sondern die Frage, ob das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden soll, weshalb die Stadtverordnetenversammlung zuständig ist.
Die starke Stellung der Stadtverordnetenversammlung gegenüber dem Magistrat wird auch durch § 50 II 1 HGO gestützt, die dem Parlament eine Überwachungskompetenz gegenüber dem Magistrat einräumt – und nicht umgekehrt.