Mythen der Migration – Nachbericht zur Diskussion

Linke räumt mit Mythen der Migrationspolitik auf

Wer kennt es nicht von der Familienfeier, aus dem Bundestag oder auch aus den sozialen Medien: Migration und Asylsuchende werden als Sündenböcke für sehr vieles präsentiert. Statt Fakten dominieren Mythen die Diskussion.

Diesem Zustand hat Die Linke Main-Taunus mit der Veranstaltung „Mythen der Migrationspolitik“ am vergangenen Donnerstag viele Daten und Zahlen entgegengestellt. Zusammen- und vorgetragen, wurden diese von Referentin Alena Schütz. Schütz arbeitet für der Landeshauptstadt Wiesbaden im Bereich Integration und Zuwanderung und hat viele Jahre in Haupt- und Ehrenamt die Situation von Geflüchteten begleitet. Ihr profundes Fachwissen bot viele Anknüpfungspunkte für eine spannende Diskussion.

Schütz stellte einige der häufigsten Mythen in Bezug auf Migration vor und konfrontierte diese mit der tatsächlichen Faktenlage. Von 110 Millionen Geflüchteten auf der Welt leben 69 Prozent in den direkten Nachbarländern. 76 Prozent der Geflüchteten halten sich in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommensniveau auf. Von den 110 Millionen Geflüchteten leben gerade einmal 7,5 Millionen in der Europäischen Union. Deutschland hat weder in absoluten Zahlen und erst recht nicht pro Kopf die meisten Geflüchteten weltweit aufgenommen. Die fortwährende Erzählung, dass ein Großteil der Geflüchteten nach Europa und Deutschland flüchteten wird angesichts dieser deutlichen Zahlen geradegerückt.

Auch die gern aufgestellte Behauptung, dass insbesondere unser Sozialsystem Geflüchtete nach Deutschland locke, lässt sich nicht durch Zahlen untermauern. Schütz illustrierte dies beispielhaft mit einer Studie der Humboldt-Universität zu Berlin aus dem Jahr 2023, die Vergleichsdaten von 160 Ländern zu Migration herangezogen hatte. Statt die Höhe der Sozialleistungen seien vielmehr die Größe eines Landes, dessen Wirtschaftskraft, die geografische Lage und Kriterien wir eine funktionierende Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die gesprochene Sprache und ein gutes Gesundheitssystem entscheidend. Deswegen, so die Schlussfolgerung von Schütz, seien geplante Verschlechterungen wie die Schaffung einer Bezahlkarte Placebo-Politik, die einer rechten Diskursverschiebung hinterherlaufe.

Die wissenschaftlichen Daten legen hingegen etwas anderes nahe: Die meisten Geflüchteten erhoffen sich den Zugang zu einer eigenständigen Existenzsicherung. Wie kommt es dann, dass im europäischen Vergleich so wenige Geflüchtete in Deutschland einer Erwerbsarbeit nachgehen? Auch hier zeigte Schütz auf, dass das in nur sehr wenigen Fällen den Betroffenen selbst zuzuschreiben ist. Sehr viele Geflüchtete unterliegen einem staatlich verfügten Arbeitsverbot. Viele andere warten monate- oder sogar jahrelang auf Integrations- und Sprachkurse, die Anerkennung ihrer erworbenen Berufsabschlüsse oder einen Kita-Platz für die eigenen Kinder, um eine Berufstätigkeit aufnehmen zu können. Diese und viele andere Hürden gilt es zu überwinden, um im deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Diejenigen, die es schaffen, arbeiten dann in großer Zahl unterhalb der eigentlichen Qualifikation. Bestes Beispiel seien die Geflüchteten aus der Ukraine: 72% haben einen Hochschulabschluss, die Hälfte der Menschen aus der Ukraine in Beschäftigung arbeiteten allerdings in Helfertätigkeiten – und das in Zeiten des Fachkräftemangels. Dies zeige die tatsächlich notwendigen Schritte auf, um Integration in Arbeit und Gesellschaft zu beschleunigen: Statt Geflüchtete für 80 Cent die Stunde zur Zwangsarbeit zu verpflichten, bräuchte es ein Ende der gesetzlichen Arbeitsverbote und einen Ausbau der staatlichen und sozialen Angebote. Davon würden am Ende alle profitieren, denn bekanntlich fehlen nicht nur alleinerziehenden Ukrainerinnen Kita-Plätze in diesem Land.

Im Anschluss an diese und viele andere präsentierte Fakten und Einschätzungen folgte eine rege Diskussion der Anwesenden. Gemeinsam war allen, dass Integration auf ein neues Level gehoben werden müsse. Das gegenseitige Kennenlernen, Zuhören und die Bereitschaft sich zu begegnen, seien ein Auftrag an alle Menschen, die dem Rechtsruck etwas entgegenstellen wollten. Teils wurde es auch emotional, etwa als Abschiebungen aus Kitas, Schulen oder Krankenhäusern geschildert wurden. Die Verletzung solcher eigentlich geschützten Bereiche sorgte nicht nur bei einem pensionierten Lehrer in der Runde für Entsetzen.

Abschließend gab es großen Applaus für die Referentin und noch reichlich Gesprächsbedarf unter den Teilnehmenden. Viele dürften gegen die nächste Stammtischparole jetzt besser argumentieren können.

Nachfolgend finden Sie die Präsentation unserer Referentin sowie weiterführende Links zum Thema:

Zahlen Asylsuchende und Geflüchtete:

https://www.rescue.org/article/facts-about-refugees-key-facts-faqs-and-statistics

https://www.unhcr.org/refugee-statistics/

https://ourworldindata.org/grapher/refugee-population-by-country-or-territory-of-asylum

https://de.statista.com/infografik/18439/fluechtlinge-und-asylbewerber-in-eu-laendern/

Überlastete Kommunen:

https://www.fr.de/rhein-main/kreis-gross-gerau/gefluechtete-in-ruesselsheim-eine-stadt-zeigt-wie-es-geht-92851562.html

https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/migrationskrise-eine-gemeinde-zeigt-wie-es-geht-104.html

https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/ueberforderte-kommunen-hausgemachte-migrationskrise-100.html

Pullfaktoren und Bezahlkarte:

https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/migrationflucht-asylversorgung.html?utm_source=ActiveCampaign&utm_medium=email&utm_content=Bezahlkarte+per+Gesetz+versch%C3%A4rfen%3F&utm_campaign=PE%3A+Bezahlkarte

https://mediendienst-integration.de/artikel/demokratie-ist-ein-pull-faktor.html

https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/interview-kommen-wegen-der-bezahlkarte-weniger-fluechtlinge-nach-deutschland-id69523976.html

https://www.sueddeutsche.de/politik/bezahlkarte-fluechtlinge-einigung-ampel-kompromiss-details-1.6408905

Bezahlkarten: Bundesregierung weiß nicht, wie viel Geld Asylsuchende in die Heimat überweisen – DER SPIEGEL

https://www.ndr.de/nachrichten/info/Bezahlkarten-fuer-Gefluechtete-Was-sollen-sie-bringen,bezahlkarte100.html

Abschiebungen:

Migration in Deutschland: So teuer sind Abschiebungen per Flieger (morgenpost.de)

Flüchtlingskrise: So teuer sind Abschiebungen von Migranten – WELT

Abschiebungen in Deutschland | Zahlen zu Asyl in Deutschland | bpb.de

Abschiebungen | Flucht & Asyl | Zahlen und Fakten | MEDIENDIENST INTEGRATION (mediendienst-integration.de)

https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-963928

Koalitionsvertrag von CDU und SPD

https://www.spd-hessen.de/eine-fuer-alle-koalitionsvertrag-zwischen-der-hessischen-spd-und-cdu/

Kritische Begleitanalyse Bereich Flucht und Migration: https://www.paritaet-hessen.org/aktuelle-themen-slider/analyse-zur-migrationspolitik.html

Rassismus schreckt Fachkräfte ab

https://www.fr.de/wirtschaft/philippinische-pflegekraefte-deutschland-zu-rassistisch-fachkraeftemangel-92834747.html

Arbeitsmarktintegration Ukr. Geflüchtete:

https://taz.de/Ukrainische-Gefluechtete-in-Deutschland/!5992686/