Gerichtsurteil mit Sprengkraft in der causa Greensill: Bürgermeister missachtete Anlagerichtlinie

Gemeinsame Pressemitteilung von FDP, SPD und Linke Wählergemeinschaft Eschborn

Am 26. Februar 2025 wies das Landgericht Frankfurt die Klage der Stadt Eschborn gegen die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Rödl & Partner wegen Beratungsfehlern im Zusammenhang mit der Erstellung der städtischen Kapitalanlagerichtlinie unter dem Aktenzeichen 2-06 O 16/24 ab. Und die Urteilsbegründung hat es in sich. Denn der für die Finanzen zuständige Bürgermeister sowie die ihn tragenden Koalitionsparteien CDU, Grüne und FWE behaupteten bislang unisono – im Übrigen auch noch gestern in der Stadtverordnetenversammlung, trotz Kenntnis der Urteilsbegründung –, dass beim Verlust der 35 Millionen Euro schweren Geldanlage die städtische Anlagerichtlinie stets befolgt worden sei. Das Landgericht Frankfurt sieht dies nun anders und schreibt der Stadt Eschborn ein Mitverschulden beim Verlust der 35 Mio € Steuergeld zu

Landgericht: Missachtung der Anlagerichtlinie

Das Landgericht schreibt in seiner Urteilsbegründung u. a.: „Im Übrigen könnte die Beklagte – ohne dass es hierauf noch ankäme – im Streitfall mit Erfolg einwenden, dass die Klägerin jedenfalls in gewissem Umfang ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB trifft. Der Auffassung der Klägerin, die Beklagte habe ein Mitverschulden nicht hinreichend konkretisiert, folgt die Kammer insoweit nicht. Die Beklagte hat aufgezeigt, dass sie in der Anlagerichtlinie durchaus Sicherheitsmechanismen vorgesehen hat. Es ist zwischen den Parteien auch unstreitig, dass die Klägerin die Musterrichtlinie kannte. Ferner geht die Kammer nach dem Vortrag der Parteien davon aus, dass die Klägerin auch den Erlass des hessischen Innenministeriums kannte. Vor diesem Hintergrund hätte es der Klägerin oblegen, zum einen die Sicherheitsaspekte und -mechanismen der Anlagerichtlinie zu beachten und nicht durch Anhebung von Sicherheitsgrenzen und Anlage großer Geldmengen bei einem Institut entgegen der Anlagerichtlinie das Risiko zu steigern. Zum anderen hätte die Klägerin mit Blick auf den Erlass des hessischen Innenministeriums auch die Anlagerichtlinie selbst in der Einzelfallanwendung durchaus kritisch prüfen können und nicht ihrerseits dem Anlageziel ‚Vermeidung von Negativzinsen‘ alle anderen Gesichtspunkte unterordnen dürfen.“

Bürgermeister hält Gerichtsurteil unter Verschluss

Erstaunlich in diesem Kontext ist auch der Umgang des Bürgermeisters mit dem Gerichtsurteil. Sowohl die Gerichtsverhandlung selbst als auch die Verkündung des Gerichtsurteils waren öffentlich. Jeder Bürger hat zudem das Recht, Gerichtsurteile anonymisiert anzufordern. Das aktuelle Gerichtsurteil wird jedoch vom Bürgermeister im Rats- und Bürgerinfosystem (RIS) als vertraulich eingestuft und unter Verschluss gehalten – obwohl es der Anhang einer öffentlichen Beschlussvorlage für die Stadtverordnetenversammlung ist. Wo bleibt hier die vielzitierte Transparenz des Bürgermeisters?

Landgericht stützt die seit 2021 geäußerte Kritik der Opposition

Das Landgericht war sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch im Urteil derselben Auffassung wie die Oppositionsparteien FDP, SPD und Linke seit 2021: Die Richtlinie wurde bei den Greensill-Geldanlagen nicht eingehalten. Ein besonderer Punkt stellt die völlig unzureichende Risikoprüfung bei Erhöhung des Klumpenrisikos bei einer Bank dar. Denn nach der Kapitalanlagerichtlinie sollten Geldanlagen bei derselben Bank in der Regel 15 Mio. Euro nicht überschreiten. Im Einzelfall konnte davon zwar abgewichen werden, allerdings fand bei den Greensill-Geldanlagen eine tiefergehende Risikoprüfung durch den Kassenverwalter nie statt. Dies ist auch niemandem aufgefallen, denn der Bürgermeister nahm seine ihm qua Richtlinie auferlegte Mitwirkungs- und Aufsichtspflicht bei den Geldanlagen nicht ausreichend wahr.

Hochrisiko-Geldanlage im ersten Amtsjahr

Kurz nach dem Amtsantritt des Bürgermeisters im Februar 2020 wurden in mehreren Tranchen Gelder in Höhe von insgesamt 35 Millionen Euro bei der bis dahin unbekannten Bremer Greensill Bank angelegt. Die verhältnismäßig kleine Bank mit exotischem Geschäftsmodell wurde seit Mitte 2020 von mehreren Finanz-Experten äußerst kritisch bewertet.

Bürgermeister stufte Zinssätze als „marktüblich“ ein

Der Bürgermeister ließ direkt nach der Pleite in einer städtischen Pressemeldung verlautbaren, dass die seinerzeit von Greensill in Aussicht gestellten, toxischen Zinssätze von 0,7 % als marktüblich angesehen werden konnten. Tatsächlich war das Zinsumfeld in besagtem Zeitraum negativ. Der damalige Kämmerer der Stadt Frankfurt, Uwe Becker (CDU), äußerte sich wie folgt zu dem Thema: „Wenn in einem von Negativzinsen geprägten Markt einige wenige Anbieter positive Zinsen versprechen, stellt sich die Frage: ‚Warum können die das?‘ Im Zweifel lehnt die Stadt Frankfurt ein solches Angebot lieber ab.“

Akteneinsichtsausschuss: Hinweise auf Aktenmanipulation

Nach dem Bericht des Akteneinsichtsausschusses, der einstimmig in der Stadtverordnetenversammlung beschlossen wurde, mangelte es an einer nachhaltigen, strukturierten und geplanten Geldanlagenstrategie. Insbesondere fehlte es auch an einem der Kapitalanlagerichtlinie entsprechenden Risikomanagement. Wie dem Bericht zu entnehmen ist, ergaben sich aus den Greensill-Akten sogar Hinweise auf Aktenmanipulation durch möglicherweise im Nachhinein konstruierte Dokumente.

Ackermann fordert Verzicht auf Kandidatur

In der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, dem 27. März 2025, forderte der Partei- und Fraktionsvorsitzende der FDP, Christoph Ackermann, Bürgermeister Adnan Shaikh auf, nach dem nun vorliegenden Urteil des Landgerichts auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. „Ein halbes Jahr vor der Bürgermeisterwahl wäre heute Abend die Gelegenheit, dass der Bürgermeister und Chef der Verwaltung die politische Verantwortung für dieses durch das Landgericht festgestellte Verschulden am Verlust von 35 Millionen Euro Steuergeld übernimmt und nicht länger aussitzt.“ Ferner kündigte Ackermann an, die zuständigen Aufsichtsstellen erneut zu bitten, endlich ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen und den Fall neutral ohne politische Voreingenommenheit zu prüfen.

Dem schließt sich Fritz-Walter Hornung für die Fraktion DIE LINKE an und ergänzt: „Vom Bürgermeister hätten wir erwartet, dass er sich zu seiner Verantwortung als zuständiger Kämmerer bekennt, statt alle Register zu ziehen, um diese von sich zu weisen.“

Umgang mit der Richtlinie ist das Problem

Ziel der 2023 einstimmig beschlossenen Klage gegen Rödl &Partner war, von einer neutralen und unparteiischen Stelle, die laut Gutachten mängelbehaftete Richtlinie sowie das gelebte Verwaltungshandeln final beurteilen zu lassen. Das Urteil zeigt, so die Fraktionsvorsitzende der SPD, Eva Sauter; dass „die Verluste bei Greensill nicht wegen einer schlechten Kapitalanlagerichtlinie eingetreten sind, sondern weil die Stadt zur Vermeidung von Negativzinsen die gebotene Sicherheit außer Acht gelassen hat. Nicht die Richtlinie ist nach Ansicht des Gerichts das Problem, sondern der Umgang mit ihr.“